„Rechtsanwaltsanwärter müssen regelmäßig bis spät Nachts [sic!] arbeiten – die vielen Überstunden werden nicht einmal abgegolten“, „Das Arbeitsrecht scheint ausgerechnet für JuristInnen nicht zu gelten“, „Unmengen an Überstunden sind in der Branche völlig üblich“ (Goebel, 2020). Solche Äußerungen zeichnen kein freundliches Bild der Arbeitsbedingungen von Jurist:innen in Rechtsanwaltskanzleien.

 

Wir haben 210 Insider:innen, als Rechtsanwaltsanwärter:innen und Rechtsanwält:innen befragt, wie sie

  • ihre aktuellen Arbeitsbedingungen bewerten,
  • welche Veränderungen in Bezug auf ihre Arbeitsbedingungen sie sich für ihre berufliche Zukunft als Rechtsanwält:innen wünschen
  • und wie wichtig diese Veränderungen für ihre Arbeitszufriedenheit und ihren Verbleib in der Rechtsanwaltsbranche sind.

Die Realität bestätigt (leider) die oben angeführten Aussagen.

Nur 11 % der Befragten sind mit der Gesamtsituation als Rechtsanwaltsanwärter:in bzw. Rechtsanwältin/Rechtsanwalt zufrieden. Nicht mehr als 33% der Befragten sind sich sicher, dass sie den Beruf als Rechtsanwalt/Rechtsanwältin langfristig ausüben wollen, obwohl der Beruf an sich als hochinteressant und spannend wahrgenommen wird.

Fazit: die inhaltliche und fachliche Komponente, das juristische Arbeiten an sich werden als attraktiv wahrgenommen. Im Gegenzug dazu werden die Rahmenbedingungen jedoch als äußerst unattraktiv bewertet.

Spitzenreiter bei den Veränderungswünschen

Das Thema Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben ist Spitzenreiter bei den Veränderungswünschen: 90,55 % der Befragten halten in diesem Zusammenhang eine Veränderung für notwendig.

Gefolgt von Veränderungswünschen in den Bereichen

  • Arbeitsflexibilität (87,40 %),
  • Arbeitsintensität (84,25 %),
  • Weiterentwicklungsmöglichkeiten der Methoden- und Sozialkompetenzen (80,32 %),
  • Gehalts- bzw. Honorargestaltung (78,74 %),
  • kanzleiinterne Arbeitsabläufe (75,59 %),
  • Weiterentwicklungsmöglichkeiten der Fachkompetenzen (70,08 %),
  • berufliche Aufstiegschancen (67,72 %),
  • Führungsstil/Führungsverhalten (57,48 %) und
  • Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Arbeitsweise (54,33 %).

Arbeitsunzufriedenheit und Fluktuation

Die zentrale Grundlage für eine hohe Arbeitszufriedenheit ist, dass gute Arbeitsbedingungen geboten werden (vgl. Clauß, et al., 2020, S. 91). Eine geringe Arbeitszufriedenheit ist oftmals der Ausgangspunkt dafür, sich Gedanken über einen Jobwechsel zu machen. Arbeitsunzufriedene Mitarbeiter:innen sind besonders geneigt, tatsächlich den oder die Arbeitgeber:in zu wechseln (vgl. Kauffeld und Schermuly, 2019, S. 246).

Was machen gute Arbeitsbedingungen in Rechtsanwaltskanzleien aus?

Obwohl sich in der Literatur keine einheitliche Erklärung darüber findet, was „gute Arbeitsbedingungen“ auszeichnet und welche Bedingungen konstitutiv sind, zeichnen die Ergebnisse unserer Untersuchung ein klares Bild davon, wie Rechtsanwaltsanwärter:innen und Rechtsanwält:innen ihre aktuelle berufliche Situation beurteilen und was sie sich für ihre Berufszukunft wünschen.

In unseren nächsten Beiträgen werden wir die einzelnen abgefragten Bereiche näher beleuchten und aufzeigen, welche Veränderungswünsche konkret zum Ausdruck gebracht wurden. Vorweggenommen werden kann, dass die Unzufriedenheiten sowohl mit der generellen Berufssituation als auch mit einzelnen Aspekten der Arbeitsbedingungen, die bekundete Wechselbereitschaft, die zahlreichen Veränderungswünsche, die für die individuelle Arbeitszufriedenheit eine enorme Wichtigkeit haben, eine deutliche Sprache sprechen. Die Untersuchung zeigt auf, dass ein enormer Veränderungsbedarf besteht und die Arbeitsbedingungen entsprechend angepasst werden müssen, um nicht wertvolle Kompetenzen und Fachwissen durch den Weggang von Mitarbeiter:innen zu verlieren.